DIE SPANISCHE REISE DES OSWALD VON WOLKENSTEIN

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Beschreibung

Die spanische Reise des Oswald von Wolkenstein

Bariton, Ud, Qanun, Nay, Rabab, 1 Perc. (Riqq, Daff, Mazhar, Darabukka)

(1976)

Ulsamer Collegium

Die Spanische Reise des Oswald von Wolkenstein


 

Die Spanische Reise des Oswald von Wolkenstein

Das Lied „Es fuegt sich“ gilt als einer der wichtigsten autobiografischen Werke OSWALD VON WOLKENSTEIN’S. Es entstand 1414 und der Achtundreißigjährige Minnesänger schaut hier auf sein reichbewegtes Leben zurück und versucht sich Rechenschaft zu geben. Has Lied ist voll von Hinweisen auf seine Weisen und beginnt mit seinem Aufbruch in die Welt und das erste, was er dort findet ist „eilend und armuet“. In der zweiten Strophe reiht Oswald acht Län­dernamen zu einem Katalog seiner Reisen an­einander: Preußen, Littauen, die Halbinsel Krim, Türkei, Palästina, Frankreich, Lom­bardei und Spanien. Über die Spanienreise berichtet die dritte Strophe näher. Dort kniet er nieder vor Mar­garete von Prades, die ihn mit „tant“ be­hängt, worauf er zum Gespött der Gesellschaft wird. Oswald als eitler Narr. Die Selbstparodie hält auch in der nächsten Strophe an, wo er sich entschließt, „sein tummes leben“ zu „verkeren“, indem er in ein Mönchsgewand schlüpft, aber gerade da­durch die Blicke der Frauen auf sich zieht. In der fünften Strophe klagt er über seine Minne-Krankheit, die ihn „seufzen und zit­tern“ lässt, abwechselnd „rot und bleich“ und ihn „in Schweiß ausbrechen“ lässt. Reflexion über die Minne findet sich auch in der sechsten Strophe. Oswald fasst seine Liebe als Last und Strafe auf. Die übertrei­bung als Stilmittel der Parodie nimmt zu. So wirkt die Bilanz seines Lebens in der siebten Strophe als ein Katalog kontrastie­render Emotionen, die vom Klagen über „ehe­licher Weibe bellen“ bis zum Stolz über die gesammelten Erfahrungen reichen, die auch gleich wieder bedauert werden in der Wen­dung: „Ich Wolkenstein lebt sicher klain, vernünftiglich!“

Das Lied „Es fueqt sich“ ist trotz seiner stilistischen Fülle zusammenfassbar zu Be­griffen wie REIHUNG und Kontrastierung. Die Reihung ist mehrmals verknüpft mit geogra­fischen Katalogen, so auch der Spanienrei­se. Die Kontrastierung stellen Wolkenstein ‚ s Rollen in ständige parodistische Spannung zueinander, die aus dem Gegensatz von An­kündigung und Durchführung entsteht. Das Stilmittel der PARODIE hatte auch in den Kontrafaktur Liedern des ausgehenden Mittel­alters seine musikalische Konkretisierung. Wolkenstein verwendete diese Technik z.B. in dem berühmten Lied „Der mai mit lieber zal“, wo er einer französischen Melodie einen deutschen Text unterlegt. PARODIE kann man definieren als Verfahren der umbildenden Veränderung eines Musik­stils durch den Kontakt mit einem Anderen. Diese Technik schien mir geradzu ideal; um anhand der Reisethematik des Lieds den Pro-zeß der AKKULTURATION zweier Kulturen auf­zuzeigen, nämlich der des Islam und der des Christentums im Spanien des Mittelalters. So sollte der Versuch unternommen werden, spekulativ durchzuspielen, welche gegensei­tigen Beeinflussungen Kulturen benutzen kön­nen für das Fortschreiten ihres eigenen Aus-drucksvokabulars.

Bekanntlich herrschten die Omaijaden ab 750 in Spanien. Um 822 traf ZIRYAB, ein Mu­siker aus Bagdad in Cordoba ein und brachte die altarabische Musiktradition mit sich, die sich nun im Laufe der andalusischen Mu­sik umformte und als Teil der Kultur des islamitischen Spaniens, der Kultur des christlichen Spaniens gegenüberstand. Es kann nicht bestritten werden, dass gegen­seitige Einflüsse dieser Kulturen stattfan­den. So existieren Abbildungen in den Bü­chern der CANTIGAS DE SANTA MARIA, einer Sammlung von Liedern des christlichen Spa­niens, wo Musiker auf arabischen Instrumen­ten, wie dem Streichinstrument RABAB, spie­len. So hat der Austausch materieller Kul­tur sicher stattgefunden. Auch sind „euro­päische“ Instrumente etymologisch auf ihre arabischen Vorformen zurückzuführen. So: Die „Laute“ zu „Lute“ zu „Ud“.

Schwieriger ist es, strukturelle Einflüsse nachzuweisen, da die Musikpraxis nicht iden­tisch war mit dem, was schriftlich festge­halten wurde. Informationen zu Aufführungs­praktiken der monodischen Lieder der Trou­badours und Minnesänger sind also als Teil einer schriftlosen Tradition verloren ge­gangen. Das erhaltene Aufführungsmaterial wie in dem Lied „es fuegt sich“ sind die Tonhöhennotierungen der Melodiezüge. Es existiert jedoch keine hinreichende Informa­tion über die Metrisierung geschweige denn die Instrumentierung. Auch hat es etwas Absurdes an sich, wenn man versucht, die begleitenden Instrumente monodischer Gesänge von Altarbildern abzu­lesen, worauf Engel auf extrem stilisierten Abbildern möglicher Original instrumente spielen. Viel ehrlicher, weil zugegeben spekulativ und zudem von der menschlichen Spielpraxis ausgehend, scheint mir der Versuch zu sein, Instrumente und Spielweisen zu übernehmen, die heute noch in, an Europa angrenzenden Ländern praktiziert werden. In der Kultur Nordafrikas existiert nämlich der Begriff TRADITION nicht in dem Sinn des steten Wechsels von Stilen, wo immer der vorherge­hende zur Tradition wird, zu der man steht oder nicht. Dieser schnelle Wechsel entstammt der ty­pisch europäischen Sorge um Kontinuität des „Immer besser Machens“, ein Ergebnis des kul­turellen Mechanismus des Christentums. In den Ländern des Islam, deren Religion ei­ne Totalität schaffen möchte, also keine ge­schichtliche Kontinuität, hat den Wechsel von Stilen so verlangsamt, dass man von Tra­ditionslosigkeit sprechen kann, d.h. dass man heute die gleiche Musik wie vor 500 Jahren spielt, ohne dass sie deshalb alte Musik ist. Allerdings ist diese Einstellung zu Tradition im Zuge der Industrialisierung des Maghreb am Verschwinden. Glücklicherweise trifft dieses Phänomen des äußerst langsamen Wechsels von Stilen immer noch zu für die Musik, die im maurischen Spanien des Mittelalters gespielt wurde. Der Rückfluss der Araber in Spanien nach Nord­afrika beginnend im 13. Jahrhundert, hat die Musik als Bestandteil aktiver Kultur mitge­nommen und so wird sie bis zum heutigen Tag unverändert gespielt. Die Bezeichnung die­ses Musikstils ist NUBA und dass es sich im­mer noch um eine authentische Musikform in der weltlichen Kunstmusik Nordafrikas han­delt, ist der Initiative von Leuten wie SALAH EL MAHDI zu verdanken, der die ver­schiedenen NUBAS aufgezeichnet und trans­kribiert hat und sie somit vor dem Zugriff des Kulturimperialismus unserer Industrie­gesellschaft bewahrt hat. Die Transkrip­tionen dienen nun nicht einem ethnomusiko-logischem Interesse, sondern sind Vorlagen zum Spielen und eine Aufführung einer Nuba ist ein Ereignis für das Volk und nicht für kleine Zirkel. Wenn man bedenkt, dass eine Nuba seit mehr als 1000 Jahren gespielt wird und immer noch emotionale Begeisterung der Tunesier, Algerier und Marokkaner her­vorruft ist das der beste Beweis für den so anderen Traditionsbegriff.

Das Notenbild einer Nuba zeigt überraschen­der Weise Strukturen, die einzig in arabi­scher Musik sind. So ist die Realisierung einer Nuba in klaren Melodiezügen gehalten, ohne die Reichhaltigkeit des ornamentalen Singens und Spielens sonstiger Musik aus dem arabischen Kulturbereich. Auch überrascht die Suitenform, die aus 5 bis 8 Sätzen be­steht und bestückt ist mit Vorspielen, Zwi­schenspielen und Begleitungssätzen der Vo­kalpartien, die chorisch und solistisch vor­getragen werden. All diese Kurzformen sind untypisch für die sonst mehr lineare Form arabischer Musik wie man sie z.B. im TAQSIM findet. Auch die Grundlage festgelegter Rhythmen und deren Begrenzung darüber-liegenden Melodien produzieren den Eindruck von Viereckigkeit, ebenfalls uncharakteri­stisch für fließenden Formen der Musik öst­lich Tunesiens. All diese stilistischen Besonderheiten könn­ten rückführbar sein auf die Bedingungen des Entstehens dieser Musik in Spanien. Also die Tatsache des Kontakts christlicher und is­lamischer Kultur. Die NUBA wäre dann selbst Ergebnis eines Akkulturationsprozesses.

Diese Phänomene reizten mich nun, einen Prozeß des Kontakts zweier Kulturen durchzu­spielen, mit dem Wolkenstein Lied „Es fuegt sich“ als Repräsentant der einen und die NUBA ed Dhil aus Tunesien als Repräsentant der anderen Kultur. Beide haben die Intervallschritte ihres Modus gemeinsam. „Es fuegt sich“ ist dorisch. Die NUBA ist im Magam ed Dhil, der iden­tisch mit dorisch ist, wenn man ihn um einem Ganzton herauftransponiert. Allerdings sind dann noch der dritte und siebte Ton um zwei Limmas höher, was zwar von der Intonation her qualitativ hörbare Unterschiede aus-  macht; genauso wie Kulturen material! ihre Verschiedenheiten manifestieren, was aber nichts an möglichen strukturellen Gemeinsam­keiten ändert. Da mich jedoch der Prozess der Akkulturation vor allem auf der strukturellen Ebene z.B. der des Erzeugens von Heterophonie, interes­sierte, nahm ich auf Intonationsunterschiede keine Rücksicht.

Wichtig für den Prozess der Akkulturation wer­den hier die Entwicklung der Mehrstimminkeit von Monodie zu Heterophonie. Das heißt, dass zunächst die beiden Pole unvereint nachein­ander präsentiert werden. Im Folgenden wer­den die 7 Strophen des Lieds den 7 Sätzen der NUBA Suite zugeordnet, in Techniken, die den Weg von Monodie zu Heterophonie erzeugen. Dabei wird die Melodie der Nuba niemals ver­ändert, bleibt also durch das ganze Stück. Allerdings mehr und mehr überlagert von hete-rophonen Strukturen.

Die Melodie des Wolkenstein Lieds macht als Repräsentant der Kultur, die den Kontakt ini­tiiert, folgenden Weg durch. Die Melodie imi­tiert, nachdem sie in der ersten Strophe mo­nodisch vorgestellt wurde, in der zweiten Strophe die Nuba Melodie und gleicht sich mehr und mehr an, bis sie in der dritten Strophe identisch mit der Nuba ist. Die vier­te Strophe zeigt starre Unvereinbarkeiten beider Stile. Die fünfte Strophe distanziert sich wiederum von der Nuba Melodie, Die sech­ste Strophe produziert heterophone Verbin­dungsstrukturen, resultierend aus der Span­nung der Verschiedenheit der Melodien. Die siebte Strophe schließlich erzeugt eine tota­le gegenseitige Angleichung der verschiedenen Melodien durch die heterophonen Verbindungs­strukturen . Folgender Prozeß des heterophonen Anreicherns monodischen Materials zeichnen sich ab: Unison, Monodie, Tropierung, Melismen, Sequenzen, Respondieren, Begleitungs-Variationen, Figurationen, Ornamentierung, Heterophonie